Mit 75 Jahren und Oberschenkelprothese
– von der Spree bis zur Isar –
Am 12. Oktober hat Roland Zahn mit dem Zerreißen des blauen Bandes vor dem Büro des Sozialverbandes Deutschland in München seine mit mehr als 1700 Kilometern bisher längste Wanderung unter den Augen eines interessierten Publikums beendet. Die am 26. Februar in Berlin gestartete Tour mit dem Namen „Bewegung hilft 2012“ ging damit nach siebeneinhalb Monaten, 137 Wandertagen und 1749 Kilometern zu Ende. Der Wanderer mit dem Teddybär am Rucksack, in Berlin beim Sozialverband Berlin-Brandenburg gestartet, hat dabei den gesamten Osten Deutschlands durchquert. Zuerst in nördlicher Richtung bis zur Ostsee und von dort aus dann in Richtung Süden, um dann seinen Weg durch den Harz, Niederbayern, über den östlichen Allgäu und Oberbayern bis nach München fortzusetzen. Von Berlin nach München, von der Spree bis zur Isar.
Dass er jemals wieder einen Kilometer laufen wird, konnte sich Roland Zahn vor sechs Jahren noch nicht vorstellen. Erst seine Hauswirtin brachte ihn mit den Worten: „Herr Zahn, nun laufen Sie doch mal um den Block, Sie können das“, auf den Gedanken, sich doch mal aus dem Rollstuhl empor zu schwingen.
Die ersten Schritte waren mühsam, doch schon jetzt erkannte der rollstuhlabhängige Oberschenkelamputierte, dass ihn jeder Schritt, den er tat, nicht nur horizontal weiter brachte, sondern auch für die Psyche der Weg zurück aus der Lethargie ins neue Leben war.
Der 75-Jährige war so angetan von seinem eigenen Erfolg, dass er die erste “Portion“ Bewegung von einem Kilometer kontinuierlich steigerte und mit Gleichgesinnten eine Probewanderung über neun Kilometer in Angriff nahm. Aber auch damit gab sich Zahn nicht zufrieden und absolvierte kurzerhand im Alleingang mal 220 Kilometer, ehe er sich 2011 von Leipzig nach Tübingen über 1000 Kilometer auf den Weg machte.
Seine Mission war und ist klar: Roland Zahn will anderen Mut machen. Zusammen mit dem Bundesverband für Menschen mit Arm- oder Beinamputation, der ihn logistisch und finanziell unterstützt, setzt er sich für Neugründungen von Selbsthilfegruppen in Deutschland ein. Deren Anzahl soll von 40 auf flächendeckende 1000 ansteigen.
In insgesamt 35 Vorträgen in Sanitätshäusern und Kliniken, die er während seiner Wanderung gehalten hat, erzählte er immer wieder über seine eigene Geschichte und die Wendepunkte seines Lebens. Etwa darüber, dass er nach seiner Blutvergiftung und der Amputation fünf Wochen Koma durchstehen musste. Davon sieht man ihm heute nichts mehr an. Zahn ist ein Energiebündel und weiß die Zuhörer bei seinen Vorträgen mitzureißen. Etwa auf der Messe “Orthopädie + Reha-Technik“ in Leipzig, am Messestand des Bundesverbandes. Gleich nach der Messe ging es für den Wahl-Stuttgarter weiter ins thüringische Triptis, wo er das erste Prothesencamp leitete. Hier gab er sein Wissen und seine Erfahrungen zur Mobilität nach einer Amputation an Gleichgesinnte weiter.
Zu den Highlights der Wanderung zählte unter anderem die Route am Elberadweg entlang bis ins Werratal. Die Dünen auf Usedom begeisterten Zahn wegen des waagerecht wehenden Sandes. Am meisten jedoch schwärmt Naturliebhaber Zahn auch heute noch von der Strecke Walchensee-Kochelsee. Dabei musste Roland Zahn einen Höhenunterschied von 160 Metern zuerst auf Schotterbelag nach oben und dann wieder nach unten bewältigen. Dank dem unproblematischen besonderem Seitwärtsgang und trotz der Warnung seiner dortigen Zimmerwirtin, die er kurzerhand ignorierte. Dafür hatte der mutige Wanderer dann „ein tolles Erlebnis mit wunderbaren Ausblicken“ auf den blinkenden See und bleibenden Eindrücken von der Wirkung eines Wasserfalls an ausgespülten Mulden beim Abstieg zum Kochelsee. Ein Wandertag, dessen fünf Abschnitte mit insgesamt zwölf Kilometern nicht unterschiedlicher hätten sein können, wie Zahn während des Abschlussvortrags schwärmte. Und er blickt zurück auf die Zeit im Rollstuhl, deren Ursache er als „Handicap im Kopf“ bezeichnete. Derlei Schicksale möchte er zusammen mit dem Bundesverband vermeiden und amputierten Menschen im Idealfall zum höchstmöglichen Mobilitätsgrad verhelfen. Mit mehr Bewegung als im Alltag. Das geht natürlich nur, solange weder Frust noch Überforderung herrschen, und nur, solange der Amputierte Freude an einer Wiederholung hat. Dies und vieles andere, wie etwa den typischen Tagesablauf seiner Wanderung erzählte Roland Zahn in einem abschließenden Vortrag in den Räumen des Sozialverbandes Deutschland in München.
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