Wie und wo bekommt der Amputierte seine Prothese

Wie und wo bekommt der Amputierte seine Prothese

In diesem Abschnitt informieren wir darüber, wie und wo der Amputierte seine Prothese bekommt, welche Prothese die richtige für ihn ist und welche Ansprüche Amputierte gegenüber ihrer Krankenversicherung haben.Ablauf der ProthesenversorgungDirekt nach der Amputation ist der Stumpf in der Regel geschwollen und kann noch nicht voll belastet werden. Die Operationswunde ist zudem noch nicht verheilt. Bevor mit der Prothesenversorgung begonnen werden kann, muss der Stumpf zunächst vorbereitet werden und die Wunde abheilen.Bereits im Krankenhaus wird damit begonnen, den Stumpf mit Kompressionsbandagen zu umwickeln oder so genannte Post-OP-Liner zu verwenden, um dem entstandenen Ödem entgegen zu wirken. Diese Kompressionsbehandlung, bei der im weiteren Verlauf auf spezielle Stumpfstrümpfe gewechselt wird, wird auch in der stationären Rehabilitation fortgesetzt. Außerdem wird der Stumpf vorsichtig „abgehärtet“, d.h. auf die neue Belastungssituation in der Prothese vorbereitet.

Da sich der Stumpf in der Anfangsphase nach der Operation noch verändert, würde eine zu frühe Prothesenversorgung dazu führen, dass der Schaft permanent neu angepasst werden müsste. Ist die Wundheilung bgeschlossen, wird daher zunächst eine  Interimsprothese angefertigt, die der Frühmobilisation und der weiteren Reduzierung des Stumpfödems dient. Da frisch Amputierte ein sehr hohes Sicherheitsbedürfnis haben, müssen die Passteile dieser ersten Prothese sorgfältig ausgewählt werden.

Wenn der Stumpf seine Form und Festigkeit gefunden hat, was ungefähr nach drei bis sechs Monaten der Fall ist, wird mit der Anpassung einer so genannten  Definitivprothese begonnen. Diese Prothese zeichnet sich durch eine individuelle Passform sowie einen sorgfältigen statischen und dynamischen Aufbau aus. Bevor eine dem Patienten angepasste Prothese jedoch ihre definitive Gestalt erhält, wird nach der Maßabnahme zunächst eine Prothese für den Zustand der Anprobe gebaut, um gegebenenfalls kleinere Änderungen und Nachpassarbeiten durchführen zu können.

Auswahl der richtigen Prothese – die Sache mit den Mobilitätsgraden

Heutzutage stehen für die Versorgung von Beinamputierten eine Vielzahl unterschiedlicher Schaftformen, Schafttechniken und Passteile zur Verfügung. Das macht es einerseits leichter, für jeden Betroffenen die richtige Prothese anzufertigen, andererseits aber auch wieder schwerer, aus dem großen Angebot das jeweils richtige Passteil auszuwählen.

Grundsätzlich gilt: Die beste Prothese gibt es nicht. Was dem einen ausreichend  Sicherheit verschafft, behindert den anderen Prothesenträger in seiner Mobilität. Auch ist es nicht immer das technisch ausgereifteste und neueste Teil, das die optimale Versorgung gewährleistet.

Um dem verordnenden Arzt und dem Orthopädietechniker, der für den Bau der Prothese zuständig ist, eine Orientierung für die Auswahl und Zusammenstellung der richtigen Prothese an die Hand zu geben, wurden fünf so genannte Mobilitätsgrade entwickelt, in die jeder Amputierte mit Hilfe eines Profilerhebungsbogens eingruppiert wird.

Mit dem  Profilerhebungsbogen werden beispielsweise neben der Krankengeschichte Fragen zum aktuellen Gesundheitszustand und zu den derzeitigen Fähigkeiten, zum sozialen Umfeld des Patienten und den zu erwartenden Fähigkeiten gestellt. Dazu gehört unter anderem, ob der Patient in der Lage ist, alleine öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, Alltagshindernisse zu überwinden, eine Familie zu versorgen oder ob er einem Beruf nachgeht.

Die Mobilitätsgrade beschreiben das Therapieziel unter Berücksichtigung der aktuellen und der zu erwartenden Fähigkeiten des Patienten. Da sich diese im Laufe der Zeit verändern können, ist die Eingruppierung nicht für immer festgeschrieben, sondern sollte regelmäßig überprüft werden. Die Mobilitätsgrade dienen als Orientierung für die Prothesenauswahl. Im Mittelpunkt muss aber immer der jeweilige Patient mit seinen individuellen Bedürfnissen stehen.

Wir empfehlen Ihnen, sich mit den unterschiedlichen Möglichkeiten der Prothesenversorgung auseinanderzusetzen und in enger Absprache mit Ihrem Arzt und dem Orthopädietechniker unterschiedliche Passteile auszuprobieren und die für Sie geeigneten auszuwählen.

Mobilitätsgrade

Mobilitätsgrad 0: Nicht gehfähig

Der Patient besitzt aufgrund des schlechten psychischen und physischen Zustandes selbst mit fremder Hilfe nicht die Fähigkeit, sich mit einer Prothese fortzubewegen oder sie zum Transfer (z.B. vom Bett in den Rollstuhl) zu nutzen.

Therapieziel: nur kosmetische Versorgung

Mobilitätsgrad 1: Innenbereichsgeher

Langsame, gleichmäßige Geschwindigkeit, ebenes Terrain, teilweise auf Hilfe angewiesen, evtl. Gehhilfen.

Therapieziel: Sie sollten mit ihrer Prothese sicher stehen und in Innenbereichen kleinere Strecken von kurzer Dauer zurücklegen können.

Mobilitätsgrad 2: Eingeschränkter Außenbereichsgeher

Gleichmäßige Geschwindigkeit, vorwiegend ebenes Terrain, aber auch kleinere Hindernisse (z.B. Bordsteine), selbstständiges Handling.

Therapieziel: Kleinere Strecken von kurzer Dauer können Sie sowohl im Innen- als auch im Außenbereich sicher zurücklegen.

Mobilitätsgrad 3: Uneingeschränkter Außenbereichsgeher

Variable Geschwindigkeit, wechselndes Terrain, höhere Beanspruchung.

Therapieziel: Sowohl draußen als auch drinnen unterscheidet Sie Ihre Mobilität nur unwesentlich von einem Nichtamputierten.

Mobilitätsgrad 4: Uneingeschränkter Außenbereichsgeher mit besonders        hohen Ansprüchen

Variable Geschwindigkeit, wechselndes Terrain, höchste Beanspruchung (z.B. durch Sport).

Therapieziel: Die Wiederherstellung der unlimitierten Gehfähigkeit sowohl im Innen- als auch im Außenbereich.

Die Verordnung der Prothese

Sie haben Anspruch auf eine Krankenbehandlung. Dazu zählt auch die Versorgung mit so genannten medizinischen Hilfsmitteln, zu denen die Prothesen gehören.

Im Sozialgesetzbuch V (SGB V), in dem unter anderem geregelt ist, welche Leistungen die gesetzlichen Krankenkassen zu erbringen haben, heißt es in § 33 Abs. 1 Satz 1: „Versicherte haben Anspruch u. a. auf Versorgung mit Körperersatzstücken und orthopädischen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.“

Der behandelnde Arzt ist für die  Verordnung der Prothese zuständig. Dabei sollte er auf dem Rezept schon möglichst genau angeben, welche Prothese, vor allem welche Passteile der Patient bekommen sollte und warum. Der Arzt hat so den Versorgungsbedarf dokumentiert. Außerdem muss die Krankenkasse ihre Versicherten entsprechend versorgen, sofern die ärztliche  Verordnung nicht unwirtschaftlich ist.

Die praktische Versorgung nimmt ein Orthopädietechniker in einem Sanitätshaus vor. Dieser sollte über viel Erfahrung in der Versorgung von Beinamputierten verfügen, sich mit den gängigen Schafttechniken und Passteilen auskennen, den Amputierten ausführlich beraten und ihm ermöglichen, unterschiedliche Prothesenbauteile zu testen. Entsteht dem Amputierten durch eine Fehlversorgung oder die Auswahl falscher Passteile ein Schaden, haftet das Sanitätshaus und muss gegebenenfalls Schadensersatz leisten.

Der Orthopädietechniker erstellt auf Grundlage der Verordnung des Arztes und des Profilerhebungsbogens einen Kostenvoranschlag für die Prothese, der zur Genehmigung an die zuständige Krankenkasse gesandt wird.

Der Patient hat einen Rechtsanspruch auf eine dem aktuellen Stand der Technik entsprechende Prothesenversorgung. Die Rechtsprechung hat mittlerweile in einer Vielzahl von Urteilen festgestellt, dass die verloren gegangene Körperfunktion „im Sinne eines Gleichziehens mit einem gesunden Menschen“ wieder herzustellen ist. Insbesondere darf eine Versorgung nicht allein aufgrund eines hohen Preises abgelehnt werden. Es gibt nämlich keine Kosten-Nutzen-Rechnung für eine Prothesenversorgung. „Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen“, so das Bundessozialgericht. Dennoch gibt es Fälle, in denen die Krankenkasse die beantragte Versorgung ablehnt, nachdem der Medizinische Dienst der Krankenkassen eine Beurteilung anhand der medizinischen Voraussetzungen des Patienten gegeben hat. Es ist empfehlenswert, in einem solchen Fall Widerspruch einzulegen.

Sollte der Widerspruch erfolglos sein und die Krankenkasse erneut ablehnen, kann Klage beim zuständigen Sozialgericht eingereicht werden. Auch hier gilt eine Frist von einem Monat. Die Chancen, über diesen Weg an das optimale Hilfsmittel zu gelangen, sind meist relativ groß. Das Klageverfahren vor den Sozialgerichten ist kostenfrei. Selbst ein vom Gericht beauftragter Gutachter muss vom Versicherten nicht bezahlt werden. Die einzigen Kosten, die entstehen können, sind die eines Anwalts. Vor den Sozialgerichten herrscht aber kein Anwaltszwang, d.h. dass sich der Amputierte auch selbst vertreten kann.

Ein Rechtsverhältnis besteht nur zwischen Patient und Kostenträger (z.B. Krankenkasse, Berufsgenossenschaft). Daher muss der Widerspruch von Ihnen eingelegt werden. Die Frist, innerhalb derer der Widerspruch erfolgen muss, beträgt grundsätzlich einen Monat. Enthält der Ablehnungsbescheid keine so genannte Rechtsmittelbelehrung, also einen Hinweis darauf, dass Sie sich mit einem Widerspruch wehren können, haben Sie sogar ein Jahr lang Zeit, Widerspruch einzulegen. Sie können aber auch einfach einen neuen Antrag stellen. Hierüber muss die Krankenkasse entscheiden, auch wenn sie die Versorgung bereits abgelehnt hat. 

Anwaltskosten werden Ihnen von der Gegenseite erstattet, wenn Sie den Prozess gewinnen. Haben Sie nur geringe Einkünfte, können Sie einen Antrag auf Prozesskostenbeihilfe stellen. Den Anwalt bezahlt dann in jedem Fall der Staat. Lassen Sie sich während des gesamten Widerspruchs- und Klageprozesses am Besten von einem auf diese Fragen spezialisierten Anwalt beraten.

Rechtlicher Ablauf einer Prothesenversorgung – Grafische Darstellung

Fragen und Antworten rund um die Prothesenversorgung

Wer bezahlt was?

Die Krankenkasse kommt für die Kosten in Höhe des vertraglich vereinbarten Preises auf, der für die jeweilige Prothese festgelegt ist. Diese Verträge werden zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern ausgehandelt. Der Patient muss, sofern er älter als 18 Jahre ist, eine gesetzliche Zuzahlung (vergleichbar Rezeptgebühr) von mindestens 5 und höchstens 10 Euro leisten.

Patienten haben einen Rechtsanspruch auf eine Prothesenversorgung, die dem aktuellen Stand der Technik entspricht (§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V). Sofern eine Versorgung dem Patienten erhebliche Gebrauchsvorteile im Vergleich zu herkömmlichen Prothesen bietet, dürfen Krankenkassen eine Kostenübernahme – auch wenn sie erheblich teurer sein sollte – aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nicht ablehnen.


Wer kommt für die Kosten von Wartung, Instandsetzung, Ersatz auf?

Kosten für die Wartung der Prothese, für notwendige Änderungen oder Neuanpassungen sowie für Reparaturen werden ebenfalls von der Krankenkasse übernommen.

Die Prothese sollte alle sechs Monate gewartet werden. Bitte beachten Sie auch die Hinweise Ihres Orthopädietechnikers und der Hersteller.


Kann das Sanitätshaus frei gewählt und gewechselt werden, wenn der Patient mit der Leistung nicht zufrieden ist?

Ja, denn Sie haben einen Anspruch auf Auswahl eines Sanitätshauses Ihrer Wahl (§ 9 SGB IX). Die Krankenkasse kann Ihnen nicht entgegenhalten, dass sie mit diesem Haus keinen Vertrag hat.


Übernimmt die Krankenkasse auch die Kosten für eine wasserfeste Gehhilfe?

Der Anspruch auf Versorgung mit einer Badeprothese ist mittlerweile auch vom Bundessozialgericht anerkannt. Dabei darf die Badeprothese dem Versorgungsstandard der Alltagsprothese entsprechen. Es darf insbesondere nicht auf die Benutzung von wasserfesten Überzügen, eines Duschhockers oder Unterarmgehstützen verwiesen werden.

Auch die Badeprothese muss vom Arzt verordnet werden. Die Anpassung erfolgt ebenfalls vom Orthopädietechniker.


Werden auch Sportprothesen von der Krankenkasse übernommen?

Sportprothesen sind Prothesen, die speziell für die Ausübung einer Sportart hergestellt und genutzt werden. Höchstrichterliche Rechtsprechung liegt zu diesem Thema noch nicht vor. Nach der Rechtsprechung zur Badeprothese muss der amputierte Mensch aber für die unterschiedlichen Lebensbereiche mit unterschiedlichen Hilfsmitteln ausgestattet werden. Insoweit bestünde dann auch Anspruch auf eine Versorgung mit der Möglichkeit schnell zu laufen.


Wie lange hält eine Prothese?

Die Haltbarkeit einer Prothese hängt im Wesentlichen davon ab, wie aktiv der Amputierte ist und wie stark die Prothese genutzt wird. Eine allgemein verbindliche Aussage kann daher nicht gemacht werden. Die Hersteller haben für die unterschiedlichen Passteile jedoch Haltbarkeitsdaten festgelegt, die beachtet werden müssen. Diese beruhen auf der Erfahrung, wie lange welches Passteil aus welchem Material bei normaler Beanspruchung seinen Dienst sicher verrichten kann.

Die Prothese und ihre Passteile sollten in jedem Fall zwei Mal jährlich vom Orthopädietechniker auf ihre ordnungsgemäße Funktion hin kontrolliert werden.


Wie muss die Prothese gepflegt werden?

Schon allein aus hygienischen Gründen, aber auch um die Funktionstauglichkeit der Prothese möglichst lange zu erhalten, müssen die einzelnen Prothesenbestandteile regelmäßig gepflegt werden. Stumpfstrümpfe, die direkt auf der Haut liegen und z.B. durch Schweiß schnell verschmutzen, müssen täglich mit lauwarmem Wasser und milder Seife gewaschen werden. Das gilt auch für Silikonliner.  Die Industrie hält für diese speziell entwickelte Pflegeprodukte bereit. Weichwand- und Hartwandschäfte sollten ebenfalls täglich feucht ausgewischt und an der Luft getrocknet werden.


Können mit einer Prothese auch Schuhe mit unterschiedlich hohen Absätzen getragen werden?

Wird ein Prothesenfuß ohne verstellbaren Absatz gewählt, was nach wie vor die Regel ist, muss unbedingt beachtet werden, dass die Absatzhöhe bei allen Schuhen, die der Träger verwendet, gleich ist. Zu den Anproben beim Orthopädietechniker müssen daher bereits Schuhe mitgebracht werden, die in der Absatzhöhe denen entsprechen, die auch sonst getragen werden sollen. Denn: Der Orthopädietechniker passt die Prothese ganz individuell an Ihre Körpergröße, Ihr Gewicht und eben an die Schuhe an. Wird das nicht beachtet, kann es zu schwerwiegenden Problemen kommen, weil die Stellung der Prothese verändert wird.

Quelle:eurocom – European Manufacturers Federation for Compression Therapy and Orthopaedic Deviceswww.eurocom-info.de