Bundessozialgericht (BSG) – Urteil vom 16.07.2014 – B 3 KR 1/14
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts berichtet nach mündlicher Verhandlung über die nachfolgend entschiedene Revision:
1) Der Senat hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Dem pflegebedürftigen Kläger (Pflegestufe III) steht der Anspruch auf Versorgung mit der elektronisch betriebenen mobilen Treppensteighilfe zu. Der Anspruch ergibt sich allerdings nicht aus §33 SGB V, weil Mobilitätshilfen zum mittelbaren Behinderungsausgleich grundsätzlich nur dann in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung fallen, wenn sie nicht allein wegen der konkreten Wohnsituation des Versicherten, sondern praktisch in jeder Art von Wohnung benötigt werden. In ebenerdig gelegenen Wohnungen oder häusern mit Aufzügen oder Treppenhilfen wird eine Treppensteighilfe aber nicht benötigt.
Der Anspruch ergibt sich jedoch aus §40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI. Für pflegebedürftige Versicherte, die dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen sind, stellt eine Treppensteighilfe ein Pflegehilfsmittel dar, weil mit ihrer Hilfe eine selbstst_ndigere Lebensführung des Pflegebedürftigen ermöglicht wird; denn um von der Wohnung nach draussen zu kommen oder von dort zurückzukehren, ist nur noch die Unterstützung durch eine Pflegeperson und nicht mehr, wie bisher, durch zwei Kräfte nötig. Die Pflegeversicherung stellt im Gegensatz zur Krankenversicherung auf einen Hilfebedarf im konkreten, individuellen Wohnumfeld ab.
Für dieses grundsätzlich in die Zuständigkeit der Pflegekasse fallende Hilfsmittel ist hier ausnahmsweise die Krankenkasse leistungspflichtig, weil nach §40 Abs. 5 Satz 1 SGB XI derjenige Leistungsträger über die Bewilligung von Hilfsmitteln mit doppelter Funktion, n_mlich Behinderungsausgleich einerseits und Pflegeerleichterung bzw. die Ermöglichung einer selbstst_ndigeren Lebensführung andererseits, zu entscheiden hat, bei dem der Leistungsantrag gestellt worden ist. Das war hier die Krankenkasse.
Dieses Urteil erg_nzt die Entscheidung des Senats vom 7.10.2010 – B 3 KR 13/09 R – BSGE 107, 44 = SozR 4-2500 §33 Nr. 31. Dort hat sich der Senat ausschliesslich mit einem Anspruch auf Gewährung einer Treppensteighilfe gegenüber der Krankenkasse beschäftigt. Eine etwaige Leistungspflicht der Pflegekasse stand aus Rechtsgründen nicht zur Debatte.
Sozialgericht (SG) Düsseldorf – S 9 KR 1019/12
(verurteilte die Krankenkasse dem Kläger eine Treppensteighilfe zum mittelbaren Behinderungsausgleich zur Verfügung zu stellen)
Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen – L 1 KR 491/13
(wies die Berufung der BKK Essanelle zurück)
Bundessozialgericht (BSG) – B 3 KR 1/14 R
(wies die Revision der Beklagten zurück)
Quelle: Bericht 31/14 des BSG
Hintergrund
Der Kläger war ein 81 Jahre alter Mann, der mit seinem mechanischen Rollstuhl von seiner Krankenversicherung nicht aus seiner Mietwohnung kam. Diese liegt in der ersten Etage eines Mehrfamilienhauses. Er konnte mit seinem Rollstuhl die Wohnung nicht verlassen da sich im Haus kein Aufzug befindet. Die Beklagte Krankenkasse hatte den Leistungsantrag für die begehrte mobile Treppensteighilfe abgelehnt. Mit der mobilen elektronischen Treppensteighilfe können Rollstuhlfahrer sitzend und mit Unterstützung einer Pflegeperson Treppen überwinden. Der Kläger, mit Pflegestufe III, ist nahezu erblindet und beidseitig beinamputiert. Die Krankenkasse hatte den Leistungsantrag des Klägers abgelehnt, weil sie der Auffassung war nicht für das Hilfsmittel aufzukommen zu müssen, da die Treppensteighilfe nur wegen der besonderen Wohnsituation benötigt werde.
Nach der Zurückweisung der Revision der Beklagten steht nun fest:
Im Gegensatz zur Krankenversicherung stellt die Pflegeversicherung auf den individuellen Bedarf des Versicherten ab.
Mobile elektronische Treppensteighilfen gehören zu den Pflegehilfsmittel.
Der Anspruch ergibt sich aus §40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI.
Voraussetzung
Der Pflegebedürftige ist dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen und mit Hilfe der Treppensteighilfe wird eine selbstständigere Lebensführung ermöglicht.
Quelle:
Burkhard Gossens
Gossens Rechtsanwälte
Juli
26
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